Zwischen Hoch- und Niederstamm

Zurück zur Übersicht

Produktion Umwelt

In der Schweiz gab es einst über 15 Millionen Hochstammbäume. Heute wächst das Schweizer Obst an Niederstammbäumen oder Spindelbüschen. Der Bio-Anteil ist gering. Doch was bedeutet all das genau? Wir haben bei zwei Produzenten nachgefragt.

Hochstammgarten Hedingen

Einer der Hochstammobstgarten von Hanspeter Hediger. Im Bild der Garten in Hedingen.

Schweizer Kirschen von Hochstammbäumen. Das klingt hochwertig und irgendwie nachhaltig, nicht? Rar sind solche Kirschen und andere Früchte wie Zwetschgen oder Äpfel auf jeden Fall.

Das war mal anders. Nach Aussage des Vereins Hochstamm Suisse gab es früher – den genauen Zeitraum nennt der Verein nicht – über 15 Millionen Hochstammbäume in der Schweiz. Heute sind es nur noch 2.3 Millionen. Warum hat man sich von diesen Bäumen abgekehrt?

Die Antwort auf diese Frage ist einigermassen komplex und reicht in die 1950er Jahre zurück. Damals wurden unter aus heutiger Sicht kaum mehr nachvollziehbaren Verhältnissen über 11 Millionen Hochstammbäume gefällt oder gesprengt, wie Franco Ruault in seinem 2021 erschienen Buch Baummord erzählt.

Abgesehen von dieser tragischen Geschichte gibt es rationale Gründe, weshalb Schweizer Obst kaum noch an Hochstammbäumen wächst. "Bei Hochstammbäumen hat man weniger Ertrag, die Ernte ist weniger effizient und die Unfallgefahr enorm hoch", sagt Christian Guyer. Der Bauer aus Seegräben im Kanton Zürich produziert Kirschen, Beeren, Äpfel und Gemüse.

Niederstammbäume haben verglichen mit Hochstammbäumen eine Wuchsstärke von etwa 50 Prozent. Das heisst in der Höhe und Breite sind die Bäume limitiert, wie Guyer sagt. "Weniger Wuchs heisst oft auch, dass sie schönere Früchte tragen."

Guyer führt seinen Hof gemeinsam mit Christian Etter strikt biologisch und extensiv. Sie bewirtschaften einen Teil ihres Landes in einem Agroforstsystem, eine Kombination aus Hochstammbäumen, Ackerflächen und Rückzugsorten für Tiere – Stein- und Asthaufen, ungemähte Wiesenabschnitte.

Die Bio-Kirschen, die die beiden produzieren und an gebana Kund:innen liefern, wachsen allerdings abseits dieser extensiven Fläche in überdachten und eingenetzten Anlagen. Das Regendach verhindert, dass reife Kirschen bei einem Regen kurz vor der Ernte aufplatzen oder verschimmeln. Die Netze am Rande der Anlagen halten allerlei Schädlinge fern – allen voran die gefürchtete Kirschessigfliege, die seit etwa 2011 ihre Unwesen in der Schweiz treibt.

Dadurch, dass die Bäume in einer Niederstammanlage kaum höher als zwei, drei Meter werden, ist die Ernte einfacher als bei Hochstammbäumen. Hier muss niemand auf Leitern klettern, um in schwindelerregender Höhe die Früchte zu pflücken und auch die Baumpflege ist weniger aufwendig, da man praktisch alle Arbeiten vom Boden aus erledigen kann.

Das Regendach und das Schutznetz verändern allerdings die Artenvielfalt innerhalb der Anlage. "In den Niederstammkulturen verhindert man durch die Netze nicht nur den Zuflug von Schädlingen, sondern auch von Nützlingen", sagt Guyer. "Viele Nützlinge wandern zu und ab, da sie im Winter einen anderen Lebensraum haben als im Sommer."

Diese unterbundene Migration führt in den Niederstammkulturen zu einem Ungleichgewicht, das sich bei Guyer und Etter in einer grösserer Blattlauspopulation manifestiert. "Auf Hochstammbäumen hat es auch Läuse. Aber das ist dort kein Thema, weil man so viele Nützlinge hat, die die Läuse fressen. Da muss man sich gar nicht drum kümmern", sagt Guyer.

Guyer und Etter bekämpfen die Blattläuse in ihren Niederstammanlagen mit ein bis drei Spritzungen Neemöl. Das Öl, das vom gleichnamigen Baum gewonnen wird, ist für Menschen ungefährlich und als Bio-Pflanzenschutzmittel zugelassen. "Die Läuse sind meistens das einzige Pflanzenschutzproblem, das ich habe bei den Niederstammbäumen."

Hanspeter Hediger aus Affoltern am Albis kann bei solchen Erzählungen nur lächeln. Seine Obstgärten gleichen aber auch eher Refugien der Natur mit Museumscharakter: Jeder Baum eine andere alte Sorte, fast ausnahmslos Hochstämmer, die Wiese zwischen den Bäumen etappenweise gemäht, damit Insekten und Tiere Zeit zum Migrieren haben. In jedem Baum sitzt ein kleines Hotel für Ohrenkriecher – die Gegenspieler der Blattläuse – und andere Insekten.

Insektenhotel Hedingen

In den Hochstammgärten von Hanspeter Hediger hängt in jedem Baum eine Dose oder ein umgedrehter Blumentopf gefüllt mit Holzwolle oder Stroh. Darin leben Nützlinge wie Ohrenkriecher, die zum Beispiel Blattläuse fressen.

"Mäuse sind das einzige Problem, das ich in meinen Gärten habe", sagt Hediger, der gar kein Bauer ist. Nach 30 Jahren beim EWZ hat er sein Hobby zum Beruf gemacht und gestaltet seither Obstgärten für Private wie auch Bauern, renaturiert und pflegt Biotope, ist Naturschutzbeauftragter und bewirtschaftet etliche Obstgärten wie jenen in Hedingen, durch den er mit Stolz führt.

Mäuse fressen die Rinde an den Wurzeln der Bäume ab. Die Wurzeln sterben ab, der Baum verliert so seine Nährstoffzufuhr und später auch den Halt. Hediger bekämpft die Mäuse mit CO2, das er in die Mäuselöcher einleitet. Eine andere Lösung hat er noch nicht gefunden. "In Amerika versucht man schon lange ein Wurzelwerk zu züchten, das die Mäuse nicht gernhaben. Bisher leider erfolglos", sagt Hediger.

Jeden Baum in seinem Garten kann er mit einem Blick bestimmen, zu jedem hat er eine Geschichte parat. "Hochstamm ist landschaftsprägend, Hochstamm heisst Erhaltung alter Sorten", doziert Hediger beim Gang durch den Garten. "Hochstamm ist aber nicht gleich Hochstamm, genauso wie Bio nicht gleich Bio ist. Man muss dahinterstehen, mit Herzblut dabei sein. Es muss ganzheitlich stimmen."

Für Hediger haben Niederstammanlagen dennoch eine Daseinsberechtigung. Mitunter setzt er auch selbst mal einen Niederstammbaum. "Bis die Hochstämmer in einem Garten ihren Platz und Raum eingenommen haben, ist ein Niederstämmer der in den Reihen dazwischen steht schon durch", sagt Hediger.

Wiese Hedingen

Hanspeter Hediger mäht die Wiesen unter seinen Bäumen etappenweise. So haben Insekten und Kleintiere Zeit, zwischen den gemähten und den ungemähten Abschnitten zu migrieren.

Ein Hochstammbaum braucht mindestens zehn Jahre, bis er Ertrag liefert. Hediger nennt das die Erziehungsphase oder die Kinderzeit. Ein Niederstammbaum oder ein Spindelbusch trägt hingegen je nach Sorte schon im Pflanzjahr spätestens aber im Folgejahr erste Früchte. Nach 10 bis 15 Jahren ist dafür Schluss.

Hochstammbäume spielen für Hediger zudem aus wirtschaftlicher Sicht in eine Nische. "Du musst Spass und Freude an den Bäumen und der Mehrarbeit haben", sagt er. "So wie ich das hier betreibe, funktioniert das nicht als Haupterwerb."

Die Dominanz der Niederstammanlagen liege auch an den Preisen auf dem Markt. Wenn er 100 Kilo Hochstammäpfel zur Mosterei bringen würde, blieben ihm am Ende kaum mehr als 15 Franken, sagt Hediger. Das spiegelt den Aufwand in keiner Weise wider. Hedigers Lösung ist, alles selbst zu machen. Aber das ist kaum für jeden Betrieb möglich.

Eine Zertifizierung soll den Hochstammanbau attraktiver machen

An den tiefen Preisen für Hochstammobst will der Verein Hochstamm Suisse etwas ändern. Vom Verein zertifizierte Produzent:innen können ihre Früchte unter dem gleichnamigen Label verkaufen und so zwei Franken zusätzlich pro 100 Kilo Obst verdienen. Produzent:innen von Spezialmostobst sollen so auf 35 Franken pro Kilo kommen.

Bei Kirschen sieht Hediger allerdings schwarz. "Für mich ist die Kirschproduktion auf Hochstamm vorbei. Wir haben zu viel Druck vom Wetter. Nass, heiss, kühl. Dieses Wechselspiel und dann die ganzen Schädlinge. Das funktioniert nicht."

Christian Guyer hat eine ähnliche Haltung. "Wir haben vor einigen Jahren eine ganze Reihe mit alten Kirschsorten gepflanzt. Aber ich bezweifle, dass sich das je lohnen wird, sagt er. Bisher haben wir die wenigen Früchte, die an den Bäumen hängen, in fast jeder Saison an Schädlinge und Vögel verloren".

Bei Äpfeln betreibt Guyer dennoch aktive Sortenerhaltung. Insbesondere auf den Agroforstflächen haben er und Christian Etter viele verschiedene alte Sorten gepflanzt. Zum Teil für Tafelobst, zum Teil für Süssmost. "Für mich ist das eine der Aufgaben, die einen bei der Arbeit befriedigen, eine fürs Gemüt." Da die Sortenerhaltung vom Bund finanziert ist, steht für Guyer die Produktion hier nicht so sehr im Vordergrund. Der Sortenerhalt ist für ihn primär eine gute Tat, die ihm Freude bereitet, wie er sagt.

Produzenten wie Christian Guyer und Christian Etter sind in der Schweiz eher Ausnahmen. Pioniere wie Hanspeter Hediger scheinen noch seltener. Zumindest wenn man sich die Statistiken des Bundes und des Schweizer Obstverbandes anschaut.

Von den schweizweit pro Jahr geernteten 200'000 Tonnen Obst stammt der Grossteil aus konventionellem Anbau. Die Biofläche wächst zwar stetig, doch mit 18 Prozent oder 1126 Hektar ist ihr Anteil sehr gering (Stand 2021). Konkrete Zahlen zum Anteil der Hochstammproduktionen liefert der Bund nicht.

Die richtige Sorte wählen

Verstärkt wird die Misere wie so oft durch den Handel. "Die Grossverteiler wollen Früchte, die alle gleich gross und gleich schön sind", sagt Hediger. "Diese Sorten kann man nicht so produzieren, wie ich das hier mache. Das geht nur in Intensivanlagen." Die Früchte in den Grossverteilern seien Sorten, die extra für den Intensivanbau gezüchtet und erforscht worden seien. Ausgelegt auf den Anbau in Kombination mit künstlicher Düngung und Pflanzenschutzmitteln.

Viele der Supermarktsorten – zum Beispiel der Apfel Gala – eignen sich kaum für den Bio-Anbau. "Gala ist absolut keine Bio-Sorte", sagt Chrstian Guyer. "Schon als konventioneller Produzent musst du bei Gala 20 Mal pro Saison spritzen. Ein Biobauer muss dann sicher 40 Mal fahren, weil die Bio-Spritzmittel viel weniger bewirken." Mehr Fahrten heisst mehr Arbeit, mehr Diesel, mehr Bodenverdichtung. "Bio ist nicht in allen Fällen besser als nicht-bio", sagt Guyer.

Wenn der Handel jetzt auf alternative Sorten setzten würde, würden auch die Konsument:innen mitmachen, glaubt Guyer. Und das glauben auch wir. Deshalb arbeiten wir mit Produzent:innen wie Christian Guyer, Christian Etter und Hanspeter Hediger zusammen. Ihre Produkte und viele weitere Schweizer Spezialitäten finden Sie in unserem Onlineshop.


Verwendete Quellen

Bioobst – Markt https://www.bioaktuell.ch/markt/biomarkt/markt-biofruechte-allgemein.html (abgerufen am 20.06.2022)

Flächenstatistik Obst https://www.agrarbericht.ch/de/produktion/pflanzliche-produktion/spezialkulturen-obst-reben-und-gemuese. (abgerufen am 20.06.2022)

5 Fakten zur Kirschessigfliege https://www.bauernzeitung.ch/artikel/pflanzen/5-fakten-zur-kirschessigfliege-362097. (abgerufen am 20.06.2022)

Der "Baummord" an 11 Millionen Obstbäumen veränderte die Schweizer Landschaft https://www.diegruene.ch/artikel/pflanzenbau/baummord-obstbaeume-schweiz-ruault-387846 (abgerufen am 20.06.2022)

Als im Thurgau die Obstbäume fielen https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/als-im-thurgau-die-obstbaeume-fielen?urn=urn:srf:video:f5894228-08a4-49f7-a837-d3963a307607 (abgerufen am 20.06.2022)

Mehr Geld mit Label https://www.schweizerbauer.ch/politik-wirtschaft/agrarwirtschaft/mehr-geld-mit-label/ (abgerufen am 20.06.2022)

Hochstamm Suisse https://www.hochstammsuisse.ch/ (abgerufen am 20.06.2022)

Schweizer Früchte https://www.swissfruit.ch/de/ (abgerufen am 20.06.2022)

© gebana 2024. Alle Rechte vorbehalten.
Alle Preise inkl. gesetzlicher Mehrwertsteuer zuzüglich Versandkosten und ggf. Nachnahmegebühren, wenn nicht anders angegeben.