Kaufen Sie weniger Fleisch

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Produktion Umwelt

In der Schweiz bietet gebana ein paar Mal im Jahr kleine Mengen Fleisch an. Fast jedes Mal fragen uns einige Kund:innen, wie das zu gebana passt. Wir finden, dass sich gebana und Fleisch nicht gegenseitig ausschliessen, wir aber so wenig wie möglich davon konsumieren sollten.

Blick aufs Sernftal und einen Teil von André Siegenthalers Weiden.

Blick aufs Sernftal und einen Teil von André Siegenthalers Weiden.

"Alle Tiere auf der Erde essen andere auf Zellen basierende Lebensformen", schreibt der Astrophysiker Ben Moore in seinem Buch Da draußen. Ein Buch über die Ursprünge des Lebens auf unserer Erde, das interessante Argumente für die Diskussion über den Verzehr von Fleisch liefert.

Moores These schliesst uns Menschen mit ein, denn biologisch unterscheiden wir uns nicht von Tieren. Das bedeutet, dass auch wir die Zellen anderer Lebewesen essen müssen, um selbst zu leben. Doch müssen diese Lebewesen Tiere sein?

Wenn wir bei Moore bleiben, erhalten wir eine überraschend rationale Antwort: "Der Energiebedarf von Pflanzen ist deutlich kleiner als der eines Tieres, weil Pflanzen sich nicht bewegen oder denken müssen. [...] Dies ist einer der Gründe dafür, dass das Verspeisen von Tieren ziemlich verschwenderisch ist."

Angesichts dieser Logik sollten wir Menschen weniger Fleisch essen.

Wie viel Fleisch ist vernünftig?

Die Frage ist, was weniger genau bedeutet. Und nach welchen Kriterien sollen wir das wenige Fleisch auswählen? Für die erste Frage hat die ZHAW im Auftrag von Greenpeace unlängst eine Antwort gefunden: 14 Kilo pro Jahr.

Zum Vergleich: Im Jahr 2019 lag der Pro-Kopf-Fleischkonsum in der Schweiz bei 51.25 Kilo und in Deutschland bei knapp 60 Kilo.

Die Studie der ZHAW liefert weit mehr als nur eine Antwort auf die Frage, wie viel Fleisch vernünftig ist. Die Autor:innen postulieren darin eine neue Art der Landwirtschaft, die sie schlicht TOP nennen. Die Abkürzung steht für Tiergerechtes und Ökologisches Produktionssystem. Wer nach diesem System produziert, soll den Tieren keine Ackerfrüchte verfüttern – Feed no Food auf Englisch – sich an strenge ökologische Tierschutzvorgaben halten und insgesamt weniger tierische Nahrungsmittel herstellen. Stattdessen sollen die Produzent:innen mehr pflanzliche Kulturen für die menschliche Ernährung anbauen, als das heute der Fall ist.

Denn heute wachsen in der Schweiz nur auf etwa 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen Lebensmittel für Menschen. Auf den restlichen 80 Prozent produzieren wir Futter für Tiere. Doch selbst das reicht nicht, um alle Tiere zu ernähren. Insgesamt rund 25 Prozent des nötigen Tierfutters stammen aus dem Ausland. Rein für Kraftfutter gerechnet sind es fast 40 Prozent, wie dieselben Autor:innen in einem Gutachten festhalten.

Die einfachste Lösung für dieses Dilemma wäre wohl der vollständige Verzicht auf Fleisch und tierische Produkte. Für Bauernfamilien in Regionen, in denen Ackerbau schwierig oder sogar unmöglich ist, wäre das aber ein Problem.

"Es gibt keine Berglandwirtschaft ohne Tiere", sagt André Siegenthaler dazu. Der Bio-Bauer aus dem Sernftal im Kanton Glarus hält neun Kühe. Auf seinen Weiden sömmern ausserdem 21 Ziegen und Gitzi sowie etliche Pferde. Die Tiere leben frei auf einem riesigen Areal, das teilweise in den Wald reicht. Die Ziegenweide ist übersät mit Felsbrocken, manche so gross wie Kleintransporter, andere noch grösser. Ein Kletterparadies für die Tiere.

"Ohne die Tiere würden die Weiden innerhalb weniger Jahre verwildern und der Wald das Land zurückerobern", sagt Siegenthaler und zeigt auf die Westhänge des Sernftals, wo junger Wald fast bis zur Talsohle reicht. "Früher gab es hier im Tal mehrere hundert Bauernfamilien, heute ist es noch eine Handvoll mit sehr viel weniger Tieren als damals."

Wald ist gut, aber man muss ihn pflegen

Was ist an verwilderten Weiden und Wald schlecht? Eigentlich nichts. Doch wird eine Weide zu Wald fällt sie in die Zuständigkeit der Förster. Forstarbeit an so steilen Hängen wie im Sernftal ist aufwendig. Oft sind Helikopter involviert, wenn es darum geht, kranke Bäume aus dem Wald zu holen oder nachwachsende Biomasse zu ernten. Je nach Modell braucht so ein Helikopter schnell mal über 200 Liter Kerosin pro Stunde.

Der Wald wächst auch ohne Förster, könnte man argumentieren. Das stimmt auch und wilder Wald ist immer besser als kein Wald. Doch damit der Wald nicht zur Gefahr für uns Menschen wird, Holz liefern kann und Erholung bietet, müssen wir ihn gezielt pflegen. Wollen wir die Kultur der Alpwirtschaft erhalten und Biodiversität fördern, dann müssen wir ihn in Schach halten.

In Berggebieten, wie dem Sernftal funktioniert das Freihalten am besten mit Tieren. Mit den Ziegen, Kühen und den Pferden hat Siegenthaler so etwas wie autonome Rasenmäher, die sich für ihn um das Weideland kümmern und so seine Direktzahlungen sichern. Die Ziegen sind ihm dabei am liebsten. "Geissen fressen dreidimensional", sagt Siegenthaler. "Die fangen oben an, gehen in die Tiefe und machen am Boden weiter." Es gebe kaum einen Trieb, Strauch oder Problemkraut, das sie nicht verputzen würden.

1240 Kilokalorien aus inländischer Produktion wären möglich

So wichtig die Tiere für den Erhalt der Weiden auch sind, die männliche Tiere landen nach ein oder zwei Jahren beim Schlachter, Muttertiere nach 10 bis 20 Jahren. Könnte man sie denn nicht so lange halten, bis sie an Altersschwäche sterben? "Ja könnte ich", sagt Siegenthaler. "Aber die Bergweiden eignen sich für nichts anderes als die Fleisch- und Milchproduktion. Wenn ich auf die verzichte, produziere ich nichts mehr. Und Tiere wegwerfen will ich nicht" Deshalb schlachtet der Bauer in jeder Saison einige seiner Tiere und verkauft das Fleisch. Etwa 500 Kilo pro Jahr.

Auf die Frage, wie er zu Futtermittelimporten steht, schüttelt Siegenthaler nur den Kopf. "Mit Futtermittel importieren wir eigentlich Energie, die mit einem x-Fachen an zusätzlicher Energie produziert und transportiert wird", sagt er. "Diese Energie fehlt am Ende in Form von Dünger und Biomasse am Herkunftsort und verursacht bei uns einen Überschuss." Die Folgen seien Überdüngung, unkontrollierte Nährstoffeinträge in Gewässern und Verkrautung der Weiden. "Der ganze Kreislauf ist aus der Balance geraten."

Siegenthaler kommt mit seinem Ansatz und Gedanken den Kriterien des von der ZHAW postulierten Produktionssystems schon ziemliche nahe und es bräuchte viel mehr wie ihn.

Denn wenn die gesamte Schweizer Landwirtschaft auf das neue System umstellen würde, führe das zu einem respektvolleren Umgang mit den Tieren, die wir essen, schreiben die Autor:innen der Studie. "Die Tiere würden vom effizient zu nutzendem Produktionsfaktor zu Lebewesen mit einem individuellen Anspruch auf ein würdiges Leben."

Mit TOP soll es möglich sein, dass die Schweizer Landwirtschaft pro Kopf und Jahr 280 Kilo Milch, die besagten 14 Kilo Fleisch und eine grosse Vielfalt an pflanzlichen Lebensmitteln produzieren kann. Total würden so 1240 Kilokalorien pro Kopf und Tag zusammenkommen. Importe wären also immer noch nötig, wenn wir nicht hungern wollen. Komplett wegfallen würden aber die Futtermittelimporte für den Erhalt der grossen Tierbestände.

Die Vernunft entscheiden lassen

Unabhängig von diesen Argumenten und Gedanken ist Fleischkonsum aus unserer Sicht eine Frage der Vernunft. Es ist nicht vernünftig drei Mal am Tag Fleisch zu essen. Es ist auch nicht vernünftig Fleisch losgelöst vom Tier zu betrachten. Tiere sind Lebewesen und verdienen Respekt und ein würdevolles Leben.

Auf der Gegenseite ist es auch nicht vernünftig Menschen vorzuschreiben, wie sie sich zu ernähren haben. "So wie wir die Biodiversität in der Landwirtschaft brauchen und fördern müssen, brauchen wir auch eine Meinungsdiversität", sagt André Siegenthaler. "Dogmatiker bringen uns nicht weiter."

Deshalb: Kaufen wir weniger Fleisch und wenn wir es kaufen, dann möglichst ganzheitlich nachhaltig. Von einem Betrieb, der keine Lebensmittel verfüttert, die wir selbst essen könnten, und der seine Tiere mit Respekt behandelt.


Verwendete Quellen

Agrarbericht Fleisch und Eier https://www.agrarbericht.ch/de/markt/tierische-produkte/fleisch-und-eier (abgerufen am 25.8.2021)

Baur, P., Flückiger, S. (2018). Nahrungsmittel aus ökologischer und tiergerechter Produktion. Eine Studie im Auftrag von Greenpeace Schweiz. Wädenswil: ZHAW Institut für Umwelt und natürliche Ressourcen. doi:10.21256/zhaw-1411 https://doi.org/10.21256/zhaw-1411 (abgerufen am 25.8.2021)

Dimensionen der Futtermittelimporte und des Futtermittelanbaus in der Schweiz https://digitalcollection.zhaw.ch/handle/11475/21943 (abgerufen am 25.8.2021)

FAQ von Wald Schweiz https://www.waldschweiz.ch/schweizer-wald/wissen/schweizer-wald/faq.html (abgerufen am 25.8.2021)

Moore, Ben (2014), Da Draußen – Leben auf unserem Planeten und anderswo, Zürich: Kein & Aber.

"Wir lagern viele Probleme unseres Ernährungssystems aus" - Interview mit Theresa Tribaldos vom Centre for Development and Environment an der Uni Bern https://www.cde.unibe.ch/forschung/cde_reihen/wir_lagern_viele_probleme_unseres_ernaehrungssystems_aus/index_ger.html (abgerufen am 20.8.2021)

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